Helgoland – Felseninsel in der Nordsee

Als von einem lächelnden Gott mit Pinsel leicht ins Meer getupften Flecken hat der Meister der Reime und Kinderbuchautor James Krüss sein Heimat-Eiland einst beschrieben. Betrachtet man es von weit oben, mag der Dichter recht haben. Nähert man sich der Insel Helgoland aber auf dem Seeweg, erscheint der Buntsandsteinfelsen dagegen als ein gigantischer Klotz.

Wo kommt er bloß her, der einsame rote Fels im Meer? Er sei übrig geblieben, sagen die Geologen. Als Rest einer vor Millionen Jahren von einem mächtigen Salzkörper emporgetriebenen Steinformation. Dieses Überbleibsel misst heute einen guten Quadratkilometer, ist ein Seeheilbad und gehört zum Kreis Pinneberg.
 

Das Ausbooten ist der Höhepunkt

Rund 1300 Menschen leben und arbeiten auf Helgoland. Die Luft ist nahezu pollenfrei. Im Sommer weht eine frische Brise über den Felsen, im Winter fallen die Temperaturen dank Golfstromausläufer nur selten unter null. Hin und wieder gibt es einen richtig kräftigen Sturm. 2400 Betten in Hotels, Pensionen und Privatquartieren stehen den Ausflugs- und Feriengästen zur Verfügung. Die Anreise mit einem der Seebäderschiffe bietet im Sommer ein wunderschönes Extra aus alten Zeiten: Die Dampfer ankern auf der Reede vor der Insel. Die Passagiere werden dann ausgebootet. Für viele Helgoland-Besucher ist das Höhepunkt der Reise. Auf der Insel fahren keine Autos, das Radfahren ist mangels Platz nur Kindern während der Wintermonate erlaubt. Die meisten Besucher kommen zum zollfreien Shoppen her, haben bis zur Rückfahrt vier Stunden Zeit, die Insel zu Fuß zu erkunden. Die Hälfte der Kurzgäste kommt über das Duty-Free-Dorado in der Einkaufsmeile zwischen Landungsbrücke und Aufzug nicht hinaus.

(Quelle: Hamburger Abendblatt online 19.11.2013)

Alle Drosselarten Europas wohnen hier

Die andere Hälfte erklimmt das Oberland, um Helgolands steinernes Wahrzeichen, die Lange Anna zu sehen. Jene, die eine Nacht oder länger bleiben, bekommen eine Ahnung von dem, worüber Fotografin Lilo Tadday, seit 40 Jahren auf Helgoland zu Hause, spricht, wenn sie sagt: "Helgoland ist eines der letzten Paradiese auf Erden."

Ein Paradies, obwohl der Mensch sich mächtig ins Zeug gelegt hat, es kaputt zu kriegen. Der "Big Bang", mit dem die Engländer 1947 sämtliche militärische Anlagen der Insel sprengten, brachte das Südkap des Buntsandsteinfelsens zum Einsturz und hinterließ das Mittelland. Dieses Stückchen zwischen Unter- und Oberland ist ein Ort der Ruhe und ein Mekka der Vogelkundler. Beinahe sämtliche Drosselarten Europas sind hier ebenso zu Hause wie Finken, Meisen und verschiedene Laubsängerarten. Die Lummen, die Basstölpel und die Dreizehenmöwen suchten sich die steilen Klippen am Westrand des Eilands als Nistplatz aus. Der Lummensprung, jenes waghalsige Manöver, mit dem sich die jungen Vögel aus 60 Meter Höhe im Juni ins Wasser fallen lassen, ist ein seltenes Spektakel, das viele Naturliebhaber anzieht.

An klaren Sommerabenden sammeln sich am Westrand des Oberlandes auch viele Menschen, um den roten Sonnenball am Horizont versinken zu sehen. Der 35 Meter hohe viereckige Turm im Rücken der Sonnengucker ist der einzige Leuchtturm Deutschlands auf hoher See. Der ehemalige Flakleitstand ist ein Sensorpunkt des Verkehrssicherungssystems Deutsche Bucht. Per automatischem Schiffsidentifizierungssystem können von hier aus sämtliche Schiffsbewegungen – 140 000 im Jahr – zwischen Wangerooge und Helgoland beobachtet werden. Wegen der geballten Technik im Turm und der wetterbedingten eingeschränkten Erreichbarkeit vom Festland ist Helgolands Leuchtturm einer der wenigen bemannten in Europas.

(Quelle: Hamburger Abendblatt online 19.11.2013)

Erholung zwischen Robben und Fossilien

Die kleine Schwester des roten Felsens ist die benachbarte Düne. Auf dem nur mit einer schaukelnden Jolle erreichbaren großen Sandhaufen gibt es den Mini-Inselflugplatz, schmucke Ferienhäuser, einen Zeltplatz, einen rot-weiß gestreiften Bilderbuchleuchtturm und jede Menge pelziger Dauergäste: In den 80er-Jahren zeigten sich die Kegelrobben erstmals am Dünenstrand. Heute räkeln sie sich in der Sonne und lassen sich von den Gästen bestaunen. Zwischen November und Januar gebären die Kegelrobben hier ihre Babys. In diesen Monaten sind die Flossenfüßer Helgolands Besuchermagnet Nummer eins.

Die Düne ist so was wie die Schatztruhe Helgolands. Hobbygeologe Stühmer ist hier am Strand besonders erfolgreich beim Entdecken Millionen Jahre alter Fossilien. Seine auch von Wissenschaftlern international bestaunte Sammlung ist im Helgoländer Museum in der Nordseehalle am Nordostufer der Insel zu sehen. Stühmer entgeht auch der rote Feuerstein nicht. Den roten Flint gibt es nur auf Helgoland. Oft entdecken nur trainierte Blicke den roten Feuerstein, der sich äußerlich kaum von all den grauen Kieseln unterscheidet. In seiner Werkstatt schneidet der Ingenieur im Ruhestand die Fundstücke auf, schleift und poliert sie, um sie pur oder – in einer der Hummerbuden am Hafen auf der Hauptinsel – als in Silber gefasste Schmuckstücke zu verkaufen.

(Quelle: Hamburger Abendblatt online 19.11.2013)

Heiraten in der Hummerbude 38/39

Diese kleinen, bunt gestrichenen Giebelhütten reihen sich als perfekte Postkartenmotive längs der Hafenpromenade aneinander. Früher dienten sie den Hummerfischern als Lager und Arbeitsstätte. Die Hummer verschwanden, ihre Fischer auch. Die Buden blieben, sie beherbergen heute Boutiquen, die kleinste Fotogalerie Deutschlands, einen Teil des Inselmuseums sowie die Außenstelle des Helgoländer Standesamtes. Aus ganz Deutschland kommen Paare nach Helgoland, um in der historischen Hummerbude Nummer 38/39 zu heiraten. Eine hier geschlossene Ehe, heißt es, sei wie der Felsen selbst – solide und gegen Bedrohungen bestens gewappnet. Dicke Luft kommt dann kaum auf, denn es weht immer eine frische Brise. Und die Gefühlstemperaturen sinken selten unter null. Dafür gibt es häufiger ein richtig sattes Unwetter. 

(Quelle: Hamburger Abendblatt online 19.11.2013)